Fruehjahr/Sommer 2018 #2
Menschen mit Kopfhörern tauchen überall auf – an den unsinnigsten Orten. Sie verfolgen mich auf Schritt und Tritt – seit Wochen. Angst und Panik bei jedem Weg auf der Straße. Ich versuche die Verfolger abzuschütteln, doch es gelingt nicht. Ich laufe zurück in die Wohnung, in der Hoffnung ein wenig Ruhe zu finden. Ein Provisorium aus nur einem Bett und einem Tisch, die Bücher noch in den Kisten – ich wollte hier nie sein. Links neben der Tür steht der Schreibtisch, auf dem Tisch eine Lampe, die beim Einschalten explodiert. In grellem Licht, in einem Blitz. Es war nicht einfach dieses Klicken, das man kennt, wenn eine Birne durchbrennt -Glühbirnen gab es zu der Zeit schon nicht mehr – es war eine grelle Explosion. Schon seit Wochen werde ich überall verfolgt und abgecheckt von Menschen, die ich nie gesehen habe. An den Orten, an denen ich regelmäßig bin, wie in einem kleinen linken Szenetreff, an dem ich einmal im Monat für die Volksküche koche, tauchen Menschen auf, die vorher nie da waren und involvieren mich in Gespräche, die stets Bezug nehmen auf irgendetwas, was nur kennen kann, wer Informationen über mich oder Zugang zu meinen Daten hat.
Sie lassen es mich wissen.
Ein jüngerer Mann taucht auf an einem dieser Donnerstage. Er trägt meinen abgewetzten lilanen Pullover. Mein kleines feministisches Statement, das mich an die Lieblingsfarbe von G. erinnert. Die klügste Frau in dem Dorf, in dem ich aufwuchs. Sie wohnte einen Stock über uns, später in der Grundschule wurde sie meine Sportlehrerin. Irgendwann erfuhr ich, dass lila ihre Lieblingsfarbe ist. Seither war es auch meine. Und ironischerweise war das auch mein Selbstverständnis. Doch der feministische Diskurs, den ich als herrschaftskritisch, als Einspruch gegen Panoptik, Dominanz, Totalitarismus und phallisch-narzisstische Selbstgefälligkeit kennen gelernt habe, ist wohl nicht der, den die anderen, ein Teil der Verfolger, meinen.
Die Verfolgung baute sich vollends auf in dem Moment, als ich im Rahmen eines kleinen politischen Festivals im Sommer 2018 eine Podiumsveranstaltung mit einer zu Lacan, Marx und insbesondere zu Luce Irigaray arbeitenden feminstischen Theoretikerin und meinem damiligen Doktovater ankündigte. Das war sicherlich dumm. Ich hatte nicht auf dem Schirm, dass ich identifiziert werden könnte mit der Gemeinschaft und mit all den kruden Gerüchten, die um diese zirkulieren, an deren Rand ich einige Jahre lebte. Nicht, dass es keine berechtigte Kritik an dieser Gemeinschäft gäbe, doch die Gerüchte, die kursierten, waren vor allem das Produkt eben der Fantasie, die Gemeinschaften in besonderem Maße auf sich ziehen. Vor allem aber hat sich mein Urteil über das Maß der Intensität der Machstrukturen und sozialen Normierungsmechanismen dieser Gemeinschaft erheblich relativiert, seit ich erleben durfte, wie die ‚liberale‘ Gesellschaft von A. mit strauchelnden, traumatisierten, in der tiefsten psychischen Krise hockenden Existenzen verfährt, wenn sich die Gelegenheit ungestrafter Übergriffe bietet. Dass ich mit der Gemeinschaft identifiziert werden würde, hatte ich jedenfalls nicht auf den Schirm, als ich mich in desolatem Zustand – der Zusammenbruch meiner Existenz in Auseinandersetzung mit der Gemeinschaft hatte mir heftig zugesetzt (Verlust meiner Kinder, meiner Parnterschaft, meiner ökonomischen Existenz, meiner Wohnung, von schlicht allem) – dennoch um Anschluss und neue Perspektiven bemüht mit dieser Veranstaltung in das doch eigentlich sehr begrenzte Licht der Öffentlichkeit eines kleinen alternativen Festivals wagte. Auf dem Schirm hatte es jedoch der Blick, der mich schließlich einschließen sollte.
Ich laufe zurück auf die Straße, man hatte angefangen Bezug zu nehmen nicht nur auf private Details, die keiner kennen konnte, sondern auch auf meine Arbeit. Dachte man, es geht in der Arbeit um Religion? Oder war es das Buchcover von Michel Henrys Inkarnation, das ich auf facebook gepostet hatte als Antwort auf ein Spiel, wo jeder einen Satz aus einem Buch posten sollte, das er gerade liest? Jedenfalls nahmen diese Anspielung mit der Zeit zu. Nonnen begannen mich aktiv und überaus freundlich auf der Straße zu grüßen, die ortsansässigen Benediktiner ebenso. Später, nachdem ich aus meiner Wohnung getrieben in einer WG untergekommen war, die sich direkt neben einer katholischen Schule befand, auch die Schüler und Lehrer derselben. Überall kamen mir lächelnde Kinder, Jugendliche und Erwachsene entgegen. Ein Art love bombing wie man es aus Sekten kennt, um abtrünnige oder Neuankömmlinge zu gewinnen? Nicht nur, es wurde kombiniert mit kleinen Szenen, die pädagogische Ratschläge erteilten. Gruppen von bis zu 20 Leuten, die den gleichen Satz im Vorbeigehen murmelten. Insbesondere den in ständiger Wiederholung der variierenden Szenen doch eine ordentliche Arbeit zu suchen. Ich war gerade dabei mich um Stipendien für meine Doktorarbeit zu bemühen, doch dazu kam es nicht mehr. Die Paranoia kam zuvor, die es unmöglich machte, zu arbeiten, die vor allem zum Abbruch der Beziehung zum Betreuer der Arbeit führte, denn man sieht aus dem Inneren eines Gaslighting nicht, wo das anfängt und endet. Vielleicht war es auch Scham, dass er mich – so war die Suggestion – wie alle anderen Menschen in meinem Elend in meinem Zimmer hockend gesehen haben könnte. Aber vor allem auch der in einem Gaslighting unüberprüfbare hartnäckige Verdacht er könnte irgendwie davon wissen und mir nichts davon sagen. Doch es begann schon weit vor meinem Auszug aus der Wohnung, dass die christliche Symbolik immer präsenter wurde. Nach der Explosion der Lampe etwa: ich hielt es nicht aus in meinem Zimmer, fand auch hier keine Ruhe, lief zurück auf die Straße. Eine vielleicht 45 Jahre alte Frau mit einem Kopftuch, welches sie so trug, wie man es aus manchen Kirchengemälden mit biblischen Szenen kennt, kam direkt auf mich zu, beugte sich beim Laufen mit einem schnellen hoch gestimmten „haaah“ nach vorn, die rechte Hand auf ihrem Unterbauch, so als wollte sie die Szene jungfräulicher Empfängnis nachspielen.
Überall wurde ich mit kleinen Szenen konfrontiert, an den Orten, an denen ich täglich vorbeilief: sei es ein offensichtlich als Obdachloser verkleideter Mann, der mich um ein Spende anhielt, um mich, wie unnötig, mit der ohnehin stets virulenten Angst meiner prekären Existenz zu konfrontieren und nebenbei den Satz fallen zu lassen, der lange Jahre den PsychologInnen und PädagogInnnen wohl als Kredo meiner Krankheit galt: „Ohne Frau kann man nicht leben.“? Und es stimmt, im Zusammenbruch der Geschichte, dem Verlust jeder Identität, traumatisiert vom plötzlichen Verlust aller Bezüge, der Verfehlung der väterlichen,partnerschaftlichen, jeder gesellschaftlichen – im weitesten Sinne geschlechtlichen – Position, mache ich, im Scheitern oder im Ausfall irgendwie erreichbarer Wege, die Erfahrung durch, die Frauen für lange Zeit, ausgeschlossen aus jeder gesellschaftlichen Position jenseits der Mutterschaft, durchmachen mussten: man reduziert sich auf ein Liebesobjekt. Was als einzige Möglichkeit bleibt, der Angst zu entgehen und ihr ständig nah bleibt. Ich machte mich zum Liebesobjekt, ich suchte nach Kontakt, Beziehung, Kommunikation, ich bot mich an, ganz bestimmt. Was bei männlich gelesen Personen nur schräg, aus dem Rahmen fallend, ungelenk und deformiert wirken kann. Ich konsumierte Pornos, um der Angst zu entgehen, ich treibe mich auf mir unendlich peinlichen Seiten herum, um dem irgendwie Herr zu werden. Ich spielte mit dem Gedanken, mir in der heftigsten Angst Nähe zu kaufen und tat das zwei Mal (zwei Mal in meinem Leben und in der tiefsten Krise desselben, bereits ohne die Uebergriffe schwankend zwischen Panik, Manie und rastlosem Kampf um einen Platz in der Welt) je in Gestalt einer Ganzkörpermassage. Ich chatte mit Frauen, aber gehe nie darauf ein, weil ich mich jedes Mal, wenn ich auf diese Seiten gehe, selbst dafür verurteile, bis auf zwei Mal: zwei Massagen. Doch diese Momente der Angst sollten zum Verhängnis werden. Man hockte bereits in meinen Daten. Vermutlich wurde ich schon seit Jahren überwacht – zusammen mit der Gemeinschaft.