Fruehjahr/Sommer 2018 #3 Erste Begegnung mit M.

Kategorien: story

Es ist unmoeglich, all die Szenen und performativen Uebergriffe zu erzaehlen, denn das fand seit dem Fruehjahr 2018 naehzu taglich statt. Ein wichtiges Detail verdient jedenfalls erwähnt zu werden. Denn es brachte mich auf die Spur, die es mir Jahre später erlauben sollte, im Winter 2020 oder 2021, ich weiß es nicht nicht mehr genau, einen der Psychologen mit Namen zu identifizieren, die sich an dieser Praxis maßgeblich beteiligten. Die erste Begegnung mit dieser Person fand im Spätsommer oder frühen Herbst 2018 statt. Die tägliche Verfolgung auf der Straße und an allen Orten hatte ein extremes Ausmaß angenommen. Ich begann in meiner Verzweiflung mit dem Versuch, die Situation umzukehren und stellte mich, wann immer es möglich war und die Situation evident genug, eine solche Aktion zu wagen, hinter die Verfolger. Ich begann damit, mir den Auflauf als Theaterszene anzusehen, den Blick umzudrehen. Das wurde rasch bemerkt. Ich erinnere mich, wie ich auf einer Bank in einem Park saß. Mehrere Frauen mittleren Alters liefen im Abstand von vielleicht einer Minute je mit Kopfhörern und einem an die Umhängetasche geklebten Schild mit einem Namen vorbei – es war Kassandra. Das beschäftigte mich noch. Konnten sie wissen, dass Kassandra von Christa Wolf eine meiner frühen Lektüreerfahrungen war? Die jugendlichen Lektüren sind immer die intensivsten geblieben. Und als hätten sie es gewusst, doch das haben sie nicht, denn es war vom eigenen Machtgefühl belustigte Manipulation, aber dennoch, von heute aus betrachtet, wäre das kein schlechter Name für die Position, die hier produziert wurde. Mit dem nie vollendeten Erlöschen der Stimme fängt es an in diesem Buch: „hier ende ich also“, die Geschichte kommt danach: „Mit meiner Stimme sprechen: das Äußerste. Mehr, andres hab ich nicht gewollt.“

Sie, die Frauen mit dem Kassandraspruch, bemerkten jedenfalls, dass ich mich nicht mehr derart aus der Fassung bringen ließ wie die Tage und Wochen zuvor. Und tatsächlich griff die letzte der vorübergehenden Frauen zum Telefon und sprach den Satz mir lächelnd zugewandt: „Das reicht ihm jetzt nicht mehr.“

„Das reicht ihm jetzt nicht mehr“.

Ein Satz, der gut geeignet ist, das Vernichtungsbegehren zu formulieren, dem ich in dieser und in so vielen folgenden, fast alltäglich stattfindenden Szenen begegnet bin. Von diesem Tag an begannen die Übergriffe in meiner Wohnung zuzunehmen. Dass mein Zimmer nicht mehr als Rückzugsraum taugte, war schon länger der Fall aufgrund der Einbrüche, die insbesondere durch an anderen Orten wieder auftauchende Gegenstände aus meinem Zimmer deutlich wurden, durch fallengelassene Sätze mit Bezug auf Tätigkeiten, die ich, bevor ich das Haus verließ, gerade vollzogen hatte –auf intimste Details, was wohl von meinem damaligen Mitbewohner, ein Pädagoge, welcher in der katholischen Flüchtlingsarbeit tätig war, ermöglicht wurde. Gerade in dem Moment, als ich versuchte, ein Stück Kontrolle über die Situation zurückzugewinnen, mich weniger aus der Fassung und in die pure Panik treiben zu lassen von den alltäglichen Übergriffen, wurde die Verfolgung verstärkt in meine Wohnung verlegt.

Waren es akustische Manipulationen? Waren es eingespielte Geräusche oder war es einfach nur der Automatismus, die paranoide Situation, die den Eindruck erweckte? Das ist unmöglich mit Gewissheit zu sagen, denn von einem bestimmten Moment an, wo ich jede Orientierung verlor in diesem Meer aus Täuschungen, Übergriffen, Appellen, Beschämungen usw. beginnt der Diskurs von selbst zu arbeiten und reicht bis an die Schwelle des Sprechenhörens. Ein bis heute andauernder Prozess in allerdings wieder in den Hintergrund rückender, nur mehr als erschöpfende Gehirnaktivität, als neuronales Flimmern spürbares Arbeiten, nicht mehr sinnlich ins Außen projiziert, an zufällige Signifikanten sich heftend veräußerlicht, jedenfalls nicht mehr in der Intensität. Ich machte den Test, es war kein Test, sondern Flucht, ich suchte nach einem Ort, der es mir erlauben würde, wenigstens ein paar Stunden Ruhe zu finden: ich lief aus der Stadt heraus, in den Wald, Stunden durch den Regen. Draußen, außerhalb meines Zimmers, hörten die subtilen akustischen Irritationen auf, die sich manchmal bis an die Grenze der Verständlichkeit von Reden schoben. Waren es an der Schwelle zum Vernehmbaren eingespielte Reden, oder einfach nur (eingespielte oder auch nicht eingespielte, nur in ihrer Aufdringlichkeit veranderte und dadurch psychotisch wirksame gewordene) Geräusche, die sich unter dem Andrang der umliegenden Diskurse, Appelle, Übergriffe in meinem Kopf zu Wörten, Satzfetzen zu übersetzen begannen? Letzteres ist nicht unwahrscheinlich in einer Situation, wo man bereits vollständig jeder Grenze beraubt wurde, bereits voll und ganz dem arbeitenden Primärprozess ausgeliefert wurde, ohne Möglichkeit ihn anzuhalten. Die Grenzen brechen in einer Situation, wo man sich in den intimsten Räumen noch unter dem Blick – virtuell einer ganzen Stadt – weiß oder aufgrund der Manipulationen zu wissen glaubt.

Stunden durch den Regen gelaufen mache ich mich zurück auf den Weg zu meiner Wohnung. Völlig durchnässt musste ich zurück. Auf dem Rückweg fand die erste Begegnung mit M. statt. Ich ging den Weg, den ich immer gehe, wenn ich aus dem Siebentischwald zurück zu meiner Wohnung laufe. Im Tunnel, der hinunter in den Park am Roten Tor führt, saß S. – ein, wie ich später erfahren sollte, Patient von M. und als schizophren diagnostiziert. S saß mit seinem langen ungepflegten Bart mit einem Buch in der Hand und einer Kerze vor sich angezündet unter der Brücke. Es war deutlich, dass das eine der Szenen sein könnte, die man mir überall begann hinzustellen, um mich mit Ängsten zu konfrontieren, zu beschämen oder schlicht weiter in die Paranoia zu treiben. Ich fuhr erst an ihm vorbei. Kehrte dann aber in der Hoffnung vielleicht irgendeine Information zu erhalten zu ihm zurück und sprach ihn an, was er hier mache. Er involvierte mich sofort in ein Gespräch über Philosophie. Er sprach über Nietzsche und Jesus – ein Bezug, der in dieser Zeit beständig hergestellt wurde. Er fragte mich, wie es um meine Beziehung zu Jesus bestellt sei. Ich weiß nicht mehr, was ich sagte, ich weiß nur, dass ich zu dieser Zeit bereits damit begann, meine Selbstpräsentation, den Schirm, für diesen Anderen zu errichten. Es gab keine privaten Gespräche mehr, alles war doppelt repräsentiert, jedes Wort, das ich irgendwo sagte, hallte von nun an im Äther wieder und kam nicht selten bei nächster Gelegenheit als Echo zu mir zurück. S sagte mir, dass Jesus zu seinem besten Freund geworden sei. Nietzsche liebte er ebenfalls, an dessen Ablehnung des Schwachen er lediglich Anstoß nahm. Ich fragte ihn oder mich, ob das bei Nietzsche wirklich der Fall ist. Gibt es nicht einen Topos der Schwäche bei Nietzsche, der der Ressentimentkritik vorausgeht? Die Taubenfüße der leisen Gedanken und die ihnen vorgängige Affirmation, das vorbehaltlos Aufnehmende, nötig, um dem Ressentiment zu entgehen? „Ach Zarathustra, klapper doch nicht so fürchterlich mit deiner Peitsche!“. Es war jedenfalls das erste Mal, dass wir uns sahen, er konnte also unmöglich wissen, dass ich Philosophie studiert hatte. Nach ein paar Minuten kam M. vorbeigelaufen. „Der da ist auch ein Philosoph“ sagte S auf den zackig vorbeilaufenden M weisend. Wie sich herausstellen sollte, war M kein Philosoph, sondern Psychologe und Leiter eines an Alfred Adler orientierten analytischen Instituts. Den Namen sollte ich erst Jahre später herausfinden.